Umbau der Energielandschaft

Jetzt nicht nachlassen

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2021

Wind und Sonne statt Kohle – EU-weit wurde erstmals mehr Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt als aus fossilen Kraftwerken. Doch der Zubau grüner Energieerzeuger stockt vor allem in Deutschland. Und auch der Wärme- und der Verkehrssektor dürfen nicht vergessen werden.

Windräder im Wasser
Foto: iStock/ TebNad

Die Energiewende kommt voran – und das in ganz Europa. So wurde einer Untersuchung des britischen Thinktanks Ember und der deutschen Denkfabrik Agora Energiewende zufolge im vergangenen Jahr in Europa erstmals mehr Strom aus Erneuerbaren Energien als aus fossilen Quellen erzeugt. 2020 lieferten Wind, Sonne, Wasserkraft und Biomasse demnach 38 Prozent des europäischen Stroms. Aus Kohle und Gas wurden dagegen nur 37 Prozent erzeugt. Das sei „ein bedeutender Meilenstein in Europas Umbau zu sauberer Energie“, heißt es im Report. Vor allem Kohlekraftwerke hätten im vergangenen Jahr rund 20 Prozent weniger Elektrizität geliefert. Seit 2015 habe sich die europäische Kohlestromerzeugung den Angaben zufolge nahezu halbiert. Auch in Deutschland stammte im vergangenen Jahr ersten Prognosen des Statistischen Bundesamtes zufolge 50,5 Prozent des erzeugten Stroms aus grünen Quellen. Und das ist auch gut so. Mit dem Umbau der Energielandschaft hin zu regenerativen und vor allem CO2-freien Quellen wollen Deutschland und Europa die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreichen, den Klimawandel zumindest ausbremsen und die Gefährdung des Planeten stoppen. Doch ganz einfach wird das nicht. Jetzt heißt es vor allem: nicht nachlassen!

Umbau der Energielandschaft: Kraftwerke gehen vom Netz

Quelle: AGEB; Statistisches Bundesamt; BMWi; BDEW; Statistik der Kohlenwirtschaft; ZSWB, 2020

Denn in nicht einmal zwei Jahren werden in Deutschland das Gros der Braunkohlekraftwerke und alle noch verbliebenen Kernkraftwerkte abgeschaltet. 20 Gigawatt Atom- und Kohlekraft müssen dann durch grüne Energien ersetzt werden. Damit der Bundesrepublik dann nicht der Strom ausgeht, müssen mehr Ökostrom produziert und neue Gaskraftwerke gebaut werden, hatte eine Kommission der Bundesregierung vor zwei Jahren errechnet. Was jedoch die Zahlen zur Stromproduktion der vergangenen Jahre verschleiern: Derzeit stockt der weitere Zubau Erneuerbarer Energien. Vor allem die Windenergie habe sich einer Datenauswertung des Südwestrundfunks (SWR) zufolge in vielen Bundesländern deutlich verlangsamt. Für die Untersuchung des SWR wurden die Genehmigungen für Windräder in allen Bundesländern analysiert, die der Bundesnetzagentur gemeldet worden waren. Ergebnis: Im Vergleich zum Jahr 2015 sank die Zahl um rund 40 Prozent auf 770 Windräder. Lediglich in Norddeutschland habe es einen leichten Aufwärtstrend gegeben, in Brandenburg blieb die Zahl konstant. In allen anderen Bundesländern gab es einen deutlichen Rückgang – am stärksten in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg sowie im Saarland. In diesen Ländern sank die Zahl der Genehmigungen seit 2015 um 75 bis 100 Prozent. Dabei ist es gerade die Windenergie, die den größten Beitrag zur Energiewende liefert: Im Jahr 2019 erzeugten die Windkraftanlagen dem Umweltbundesamt zufolge 125,9 Milliarden Kilowattstunden Energie. Zum Vergleich: 2018 waren es 110,0 Milliarden Kilowattstunden, 2014 58,5 Milliarden Kilowattstunden.

Das Netz konstant halten

Es geht aber nicht allein um den Zubau, das ganze System muss umgebaut werden. Denn Wind- und Solarkraft sind volatil; die Stromproduktion schwankt je nach Wetterlage und richtet sich nicht nach Verbrauchsdaten oder Arbeitszeiten. Zuweilen muss das Stromnetz in Deutschland innerhalb weniger Stunden bei aufkommenden Böen bis zu 20.000 Megawatt Windkraft aufnehmen oder deren Wegfall bei einsetzender Flaute schnell ausgleichen, was den Lastausgleich erschwert. Stromangebot und -nachfrage müssen nämlich jederzeit bei einer konstanten Netzfrequenz von 50 Hertz im Gleichgewicht gehalten werden. Selbst kleinste Abweichungen können elektrische Geräte und auch Generatoren von Kraftwerken beschädigen und zu Stromausfällen führen – und das nicht nur lokal. Sucht sich der Strom dann einen neuen Weg durch das Netz, können sich die weiteren Überlastungen zu einem europaweiten kaskadenartigen Blackout ausweiten. Damit das nicht passiert, arbeiten die Netzbetreiber kontinuierlich am Lastmanagement, schalten Reservekraftwerke zu oder nehmen Anlagen vom Netz und verschieben Strom in ganz Europa. Auch große Fabriken können, gegen Geld und nach vorheriger Absprache mit den Unternehmen, gedrosselt werden. Werden nun aber immer mehr konventionelle Kraftwerke durch Wind- und Solarkraftanlagen ersetzt, braucht es andere Möglichkeiten, die Schwankungen der Erneuerbaren Energien auszugleichen. Eine davon wäre das Speichern überschüssigen Stroms – zum Beispiel in großen Energiespeichern oder auch in vielen kleinen Batterien, etwa ehemaligen Zellen aus Elektroautos.

Mehr als Strom

Ein Weg für den Lastausgleich könnte sein, die Akkus parkender Pkw an das Netz anzuschließen. Überhaupt müssten viel mehr E-Autos auf deutschen Straßen unterwegs sein, als das heute der Fall ist. Mit dem Zuwachs strombetriebener Fahrzeuge würden denn auch gleich zwei Ziele erreicht: Nicht nur könnten die Akkus als Speicherkapazität dienen. Auch würde die Dekarbonisierung des Verkehrssektors vorangetrieben. Denn Energiewende ist mehr als nur der Zubau regenerativer Stromerzeuger. Auch Verkehr und Wärme müssen auf grün getrimmt werden. Gleichzeitig gilt es, immer weniger Energie zu verbrauchen. Neben dem Verkehrssektor rückt auch der Wärmebereich mehr und mehr in den Fokus der Energiewende: Denn knapp über die Hälfte der in Deutschland verbrauchten Energie wird für die Erzeugung von Wärme und Kälte verwendet – für Heizungen, Kühlschränke, Warmwasser, Prozesswärme oder Klimaanlagen. Die dafür benötigte Energie stammt noch immer zu 85 Prozent aus Kohle, Öl oder Gas. Im Jahr 2019 kamen nur 14,5 Prozent der Wärmeenergie aus regenerativen Quellen – ein Zuwachs von gerade einmal 0,4 Prozent in sieben Jahren. Doch es ginge auch anders: Vor allem die Fernwärme bietet einer Studie von Prognos und dem Hamburg Institut im Auftrag des Energieeffizienzverbands für Wärme und Kälte (AGFW) zufolge enorme Potenziale. Schon 2030 könnte Fernwärme zu 45 Prozent aus Erneuerbaren Energien und Abwärme kommen, das wäre eine Verdreifachung gegenüber 2018. Besonders Großwärmepumpen, Geothermie und Solarthermie sollen als Quellen ausgebaut werden. Und auch in kleinen Quartieren und Einfamilienhäusern spielen Wärmepumpen und Blockheizkraftwerke eine immer größere Rolle.

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