Schwung in der Energiewende

Eine Chance für die Energiewende

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2023

Ukrainekrieg, Energiepreisschock und Klimawandel stellen Deutschland und Europa vor enorme Herausforderungen. Es steht nicht weniger an als der Umbau des kompletten Energiesystems. Doch die Krise kann für uns alle auch zur Chance werden.

Eine Glühbirne enthält eine Fabrik mit dampfendem Schornstein und liegt am Boden; eine zweite Glühbirne enthält ein Windrad und steht aufrecht
Foto: iStock/Imilian

Haben Sie im vergangenen Winter Energie gespart? Die Heizung etwas runtergedreht, das Licht ausgeschaltet und Stromfresser aufgespürt? Und blicken Sie der nächsten Abrechnung trotzdem mit Sorge entgegen? Das geht uns wahrscheinlich allen so. Viele Deutsche haben in den vergangenen Monaten die Energieverbräuche an allen nur erdenklichen Stellen heruntergeschraubt, haben programmierbare Thermostate an Heizkörper montiert und auf 19 Grad eingestellt, haben Fenster abgedichtet, LED-Birnen in Lampenfassungen gedreht, auf Autofahrten verzichtet und energieeffiziente Programme in Wasch- und Spülmaschine genutzt. Und trotzdem bleibt die Frage: Wie hoch wird die Nachzahlung wohl ausfallen? Und können wir uns das überhaupt leisten?

Klar, der Energiepreisschock des vergangenen Jahres sitzt tief. Und klar dürfte auch sein: So günstig wie vor dem Ukrainekrieg und dem Bruch mit dem Gaslieferer Russland wird Energie in Deutschland wohl nicht mehr werden. Jedoch kann die derzeitige Energiekrise für die Energiewende auch zur Chance werden – das glaubt zumindest der Thinktank Agora Energiewende: „Das Jahr 2022 hat eine neue Ära für die Transformation zur Klimaneutralität eingeläutet.“ Erste Anzeichen gebe es bereits: So boomt derzeit die Nachfrage nach Solaranlagen, E-Autos und Wärmepumpen. Sowohl bei Unternehmen als auch in der Bevölkerung sei das Interesse an Energiewende-Technologien stark gestiegen. 

Viel zu tun für den Schwung in der Energiewende

Damit das klappt, ist aber noch viel zu tun: Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden – fünf Jahre schneller als die Europäische Union. Für dieses ambitionierte Ziel muss die Energielandschaft aber komplett umgebaut werden: Fossile Brennstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas, die derzeit dominieren, müssen durch erneuerbare Energien ersetzt werden, Autos mit Verbrennungsmotoren durch Elektrofahrzeuge, alte Heizkessel durch Wärmepumpen und andere nachhaltige Heizsysteme. Und auch die Energieeffizienz, also der sparsame Umgang mit Strom und Wärme, muss weiter erhöht werden. Zwar sind die Treibhausgasemissionen in Deutschland im vergangenen Jahr leicht um 1,9 Prozent gesunken, hat das Umweltbundesamt (UBA) ermittelt. So wurden rund 746 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt, gut 15 Millionen Tonnen weniger als 2021. Insgesamt sind die Emissionen seit 1990 in Deutschland damit um 40,4 Prozent gesunken und die Zielwerte des Bundesklimaschutzgesetzes (KSG) damit in Summe eingehalten. Allerdings gehen die Einsparungen vor allem darauf zurück, dass Haushalte und Industrie kräftig Energie eingespart haben. Der Gesamtverbrauch ging um rund fünf Prozent zurück und sank damit auf den tiefsten Stand im wiedervereinigten Deutschland, hat Agora Energiewende ermittelt. Vor allem in der Industrie sanken die CO₂-Emissionen nach UBA-Zahlen deutlich um 19 Millionen Tonnen beziehungsweise 10,4 Prozent auf 164 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente.

Grafik: Sind Sie für oder gegen folgende energiepolitische Maßnahmen, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern?

Kohlekraftwerke treiben CO₂-Ausstoß

Gleichzeitig gab es aber einen bedeutenden Anstieg im Energiesektor: Dieser weist 10,7 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente mehr auf als 2021 und liegt damit bei rund 256 Millionen Tonnen, heißt es beim UBA. Der Grund: Um einem Energiemangel entgegenzuwirken, gingen stillgelegte Kohlekraftwerke wieder ans Netz. Die gute Nachricht: Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien konnte das dämpfen, sie stieg um neun Prozent gegenüber 2021. Mit gut 48 Prozent deckten sie schon fast die Hälfte des deutschen Stromverbrauchs. Hauptgrund für den Höchstwert war allerdings eine besonders günstige Witterung: Es gab sehr viel Wind und mehr Sonnenstunden als je zuvor. 

Trotzdem: „A und O ist ein wesentlich höheres Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir müssen es schaffen, dreimal so viel Kapazität wie bisher zu installieren, um den Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung bis 2030 auf 80 Prozent zu steigern“, fordert UBA-Präsident Dirk Messner. Eine Hängepartie wie in den letzten Jahren dürfe es nicht mehr geben. Denn die Ökoenergien bauen nicht nur die Abhängigkeit von fossilen Energielieferungen ab und helfen Treibhausgase einzusparen – sie wirken auch. Aber: „Die Dekarbonisierung muss alle Bereiche umfassen – von der Industrieproduktion über den Gebäudebereich bis hin zur Mobilität und der Landwirtschaft“, mahnt Messner.

Mehr Strom aus Sonne und Wind

Immerhin: Die Bundesregierung will nun Schwung in die Energiewende bringen. Wichtigste Weichenstellung: Die Nutzung der Erneuerbaren liege künftig „im überragenden öffentlichen Interesse“ und diene „der öffentlichen Sicherheit“, heißt es in der Erklärung der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG 2023), das am 1. Januar in Kraft getreten ist. Damit ist bei Planung und Genehmigung zum Ausbau erneuerbarer Energien der Weg frei für ein beschleunigtes Verfahren – so wie es zum Beispiel bei Kohletagebau oder Straßenbau schon lange der Fall ist. 

Zudem wurden die Ausbauziele für Wind- und Sonnenstrom deutlich angehoben. Künftig müssen im Schnitt zwei Prozent der Landesfläche für Windenergieprojekte ausgewiesen werden. Insgesamt soll der Strom in Deutschland bis zum Jahr 2030 mindestens zu 80 Prozent aus regenerativen Quellen stammen – ein ambitioniertes Ziel; vor allem weil der Stromverbrauch voraussichtlich um ein Drittel steigen wird, wenn – wie geplant – bis zum Ende des Jahrzehnts mindestens 15 Millionen E-Autos über Deutschlands Straßen rollen und sechs Millionen Wärmepumpen Häuser und Wohnungen erwärmen. Vielleicht hat die Krise ja tatsächlich endlich die Ära der Energiewende eingeläutet.

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