Energiemix und steigende Strompreise

2022 – kein Jahr wie jedes andere

Von Michael Gneuss · 2022

Offene Fragen zur künftigen Energieversorgung müssen angesichts des Klimawandels weltweit beantwortet werden. Gerade in Deutschland wird eine neue Regierung richtungsweisende Entscheidungen treffen müssen. Nicht zuletzt die jüngsten Preisschocks auf den Strom- und Gasmärkten setzen Politik und Wirtschaft massiv unter Druck.

Schriftzug 2022 mit Symbolen der Erneuerbaren Energie umgeben
Foto: iStock/AntonioSolano

Es ist immer wieder interessant, ein Jahr zu durchleben, in dem ein Science-Fiction-Autor seine Handlung spielen ließ. So geschehen 1984, dem Jahr, in dem sich George Orwell – während er 1946 und 1947 seinen gleichnamigen Roman schrieb – eine Welt vorstellte, in der uns „Big Brother“ auf Schritt und Tritt beobachtet. Jetzt haben wir wieder so ein Jahr. Denn im Jahr 2022 spielt der Film „Soylent Green“, den Regisseur Richard Fleischer im Jahr 1973 in die Kinos brachte. Er gilt als die erste Öko-Dystopie, in der die Thesen des Club of Rome aufgegriffen wurden. Zugegeben, die Energieversorgung steht nicht im Zentrum des Films, der sich vor allem mit der Nahrungsmittelproduktion in Zeiten einer dramatischen Überbevölkerung und Armut in der 40-Millionen-Menschen-Metropole New York auseinandersetzt. Und dennoch: Das Werk ruft in Erinnerung, dass schon vor mehr als 50 Jahren das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Energiewende in der Zukunft vorhanden war. In Deutschland schockten im November des Jahres, in dem „Soylent Green“ herauskam, Ölkrise und Fahrverbot die Autofahrer. Auch wenn die Endlichkeit der fossilen Energieträger damals noch weit mehr im Fokus stand als die zunehmenden CO₂-Emissionen, wurden Alternativen zu Öl, Kohle und Gas bereits diskutiert. 

Preisanstieg schockt Verbraucher

Für diejenigen, die Zukunft gestalten, ist es sicher kein Fehler, die Vergangenheit zu verstehen. Heute kommt es vielen wahrscheinlich so vor, als überfiele uns die Energiewende – mit einer Macht, die uns in Schwindel versetzt. Die Preise für Strom und Gas gehen durch die Decke. Elektrizität ist so teuer wie nie zuvor. Laut dem Verbraucherportal Verivox stieg der durchschnittliche Verbraucherpreis im vergangenen Jahr um mehr als 18 Prozent. Die Gas-Kosten seien für einen Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden von 1.162 auf 1.704 Euro gestiegen. Noch erschreckender sind die Preise, zu denen Energie an den Börsen gehandelt wurden. Je nach Zeitraum lassen sich an der Strombörse Anstiege von mehreren Hundert Prozent errechnen. Gleichzeitig gewinnt die Diskussion um die Energiewende an Schärfe. Die Naturkatastrophen des Jahres 2021 haben die Folgen des Klimawandels gerade den Menschen in Deutschland noch einmal drastisch vor Augen geführt. In der neuen Bundesregierung wollen die Grünen ihr Wahlversprechen von mehr Klimaschutz einlösen. Die Klimakonferenz in Glasgow hat im November des vergangenen Jahres gezeigt, dass kaum noch ein Land einen solchen Gipfel ohne eine Vereinbarung – wie kompromissbeladen sie auch sein mag – enden lassen möchte. Und auch Brüssel treibt das Thema voran. 

Strommast steht auf einer Gasherdplatte
Heiß diskutiert: Rund um die Energiewende bestehen etliche brisante Themen. Foto: iStock / Daniel Heighton

Energiemix und steigende Strompreise: Atomkraft wird wieder diskutiert

Gerade die Diskussionen innerhalb der Europäischen Union zeigen, welchen Stellenwert der Klimaschutz gewonnen hat. Angesichts der Sorgen um die Erderwärmung werden auch die Risiken der Kernenergie relativiert. Atomkraft und Gas sollen als grüne Technologien eingestuft werden. Für deutsche Bedenken gegen die Atomkraft wird es aller Voraussicht nach keine Mehrheiten geben. An der deutschen Energiepolitik wird das aber zunächst nichts ändern. Die Position in der Koalition steht. Ob sich die Haltung in künftigen Legislaturperioden noch einmal ändert, wenn die klimabedingten Katastrophen zunehmen, Ausbauziele bei den Erneuerbaren nicht erreicht werden oder der Aufbau von Speicherinfrastruktur nicht vorankommt, bleibt abzuwarten. Atommeiler können zwar günstig, zuverlässig und ohne die CO₂-Emissionen fossiler Kraftwerke Strom produzieren, jedoch kann niemand sagen, ob, wann und wo sich in der Zukunft Unfälle wie in Fukushima oder Tschernobyl wiederholen. 

Noch besser zeigt die Diskussion um das Erdgas in Deutschland das Dilemma der Energiewende auf. Greenpeace warnt davor, in dem vermeintlich klimafreundlichsten fossilen Brennstoff eine Brückentechnologie zu sehen, und mahnt nach dem Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohle auch einen Ausstieg aus dem Gas an. Die Bundesregierung will spätestens 2045 kein Gas mehr in Deutschland verbrennen. Bis dahin sieht sie in dem fossilen „Gas in hochmodernen und effizienten Gaskraftwerken für einen begrenzten Übergangszeitraum – bis zur Umstellung auf einen auf Erneuerbaren Energien beruhenden Energiesektor – eine Brücke“, teilte sie zuletzt mit. Ohne eine Brückentechnologie würden wir die Versorgungssicherheit aufs Spiel setzen. Im Zusammenhang mit Gas müssen allerdings auch die geopolitischen Spannungen berücksichtigt werden. Zu großen Teilen kommt unser Erdgas aus Russland. Die neue Koalition wird zunächst voll auf einen massiven Ausbau der Erzeugung von Erneuerbaren Energien setzen. Zahlen dazu hat Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, bereits vorgelegt. Etwa 240 Terawattstunden Strom aus Erneuerbaren Energien werden derzeit erzeugt. Bis 2030 müssen es 544 bis 600 Terawattstunden sein, um die Ziele zu erreichen. 

Genehmigungen dauern zu lange

Die Wirtschaft begrüßt die Ziele. „Es ist richtig, beim Ausbau Erneuerbarer Energien endlich den Turbo zu zünden“, sagt der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian. „Dafür brauchen wir eine Schubumkehr: weniger Bürokratie und viel mehr Tempo bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren.“ Die Genehmigung eines Windparks dauere in Deutschland noch immer im Durchschnitt zwei Jahre, vielerorts wie in Hessen mit 40 Monaten auch deutlich länger, moniert Adrian. Viele Unternehmen haben längst beschlossen, im Klimaschutz eine Chance zu sehen. Mehr als ein Drittel der Betriebe wollen das Ziel der Klimaneutralität 2030 oder früher erreichen, geht aus dem Energiebarometer der Industrie- und Handelskammern hervor. Dafür brauchen sie genügend grünen Strom. Denn je mehr ihrer Produkte mit grünem Strom produziert werden, desto besser sind sie als nachhaltige Erzeugnisse zu vermarkten. 

Gleichzeitig dürfen die steigenden Energiepreise aber nicht zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit führen. Hoffnung macht eine Modellierung der Fachhochschule Nordhausen. Danach ist in Thüringen die Energiewende ohne einen deutlichen weiteren Anstieg der Kosten zu bewerkstelligen. Zwar sei nicht damit zu rechnen, dass die Kosten künftig wieder sinken könnten; ein weiterer dramatischer Anstieg sei aber zu vermeiden.

Quellen:
Zeit Online: Modell zu Energiewende: Deutlicher Kostenanstieg vermeidbar
WirtschaftsWoche: 
Von allem zu wenig

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